03


18.05. 2019

____________________________________________________________

paul divjak   +  toni kleinlercher

breaking news -  amnesia


divjak  kleinlercher

Paul Divjak, breaking news, Foto © Paul Divjak                                               Toni Kleinlercher, amnesia, Foto © Paul Divjak

divjak  kleinlercher

private viewing 03 , Installationsansicht, atelier keinlercher/Kosai, Foto © Paul Divjak                                    


Essay zur Ausstellung PRIVATE VIEWING 03 von Jeanette Müller

BREAKING NEWS – AMNESIA


+++ Du hast meinen Text zerknüllt. +++ Und ich habe es gesehen. +++ Zuviel Information in deinem Kopf. +++ Und du sagst: Das macht mich nicht mehr an. +++ Der Fluss ist gestoppt. +++ Ich sehe nur noch Streifen, nun wird Position geprobt. +++ Du kannst auf mich verzichten, nur auf Symbole nicht. +++

BERTA (vulgo Maria Magdalena und Ludwig von Bertalanffy), die Begründerin der Allgemeinen Systemtheorie erklärte:


+ Wir Menschen leben in einer symbolischen Welt der Sprache, des Gedankens, der sozialen Systeme, der Wissenschaft und der Kunst und so weiter.

+ Wir leben in einer von uns selbst geschaffenen Welt, und das ist nicht die Welt der Dinge, sondern der Symbole.


+ Die symbolischen Welten, die der Mensch geschaffen hat, gewinnen Autonomie, eine Art Eigenleben. Symbolische Systeme sind sozusagen selbstbewegend, sie folgen einer inneren oder autonomen Logik ihrer Entwicklung.


+ Symbolische Systeme werden durch ihre Eigengesetzlichkeit mächtiger als der Mensch, mächtiger als ihre SchöpferInnen. Alle symbolischen Systeme haben autonome Gesetze, die aber nicht psychologische Gesetze sind und über die Psychologie, das Menschliche ihrer SchöpferInnen hinausgeht; sie folgen einer immanenten Logik und Dynamik.


+ Symbolische Wesenheiten – Status, Nation, Gesellschaft, Partei, was immer – beherrschen Menschen und ihr Verhalten kraftvoller als die biologische Realität oder organismische Triebe.

+ Aus dem Konflikt zwischen gegensätzlichen Symbolwelten resultieren neurotische Situationen. Ebenso aus dem Gegensatz von biologischen Trieben und Symbolismen.


+++ We are the world, we created the systems. +++ We are the ones who make the brighter scopes. +++ So let’s start peeping. +++ Imagine there are no overloads. +++ It is unwonted to do. +++ Nothing to judge or price for. +++ No distraction, too. +++ She bop, he bop and we bop. +++ I bop, you bop, and they bop. +++ We bop, we bop. +++


Was ich noch anmerken möchte: BERTA und ich postulieren eine organismische Weltsicht, Loyalität gegenüber der Menschheit und einen planetaren Patriotismus. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Texte, die Toni bearbeitet hat von Robert Stähr geschrieben wurden und Paul sich die Online-Nachrichten des ORF in Südost-Asien ansehen wollte. Betonen möchte ich darüber hinaus die innere Vertonung, die entgegen meines Wunsches hauptsächlich die Stimmen toter Männer in meinem Kopf erklingen liess: Falco, Michael, John.

Ich danke Yoko und Cindy.


Herzlichst,

Komorebi ... aka Jeanette ...


... denn ich möchte gerne „Komorebi“ sein – Sonnenlicht, das durch Blätter von Bäumen gefiltert wird.

... und ich möchte skizzieren, vor welchem Hintergrund ich die Arbeiten von Toni Kleinlercher und Paul Divjak aufgefasst und den Text geschrieben habe:


Als ich ein Kind war, das gerade Lesen gelernt hat, ging es mir so, wie wohl den meisten von uns gegangen ist: Ich wollte alles lesen, was ich in meiner Umgebung sah und nun als Worte erkennen konnte. Ich wollte immer mehr lesen und eintauchen in neue, erweiterte Welten. Als Schülerin ging es ja noch: ich habe alle Bücher der bescheidenen Bibliothek, die sich hinterm im Klassenzimmer befand, gelesen. Auch die, die mir nicht gefielen, denn die Lehrerin meinte, es gebe keine schlechten Bücher und ich müsse alle lesen, bevor ich sie zurückgebe. Das hat mich zweifeln und manchmal auch verzweifeln lassen.


Alles lesen, alles erfassen, alles verstehen wollen. Einordnen wollen, begreifbar machen, aneignen wollen. – Und dann die Erkenntnis, dass es viel, viel zu viele Bücher und Texte und Informationen, Erlebnisse, Erinnerungen und Eindrücke gibt – und, dass permanent neue dazukommen.

Dann die wiederkehrende Erkenntnis, dass ALLES irgendwie in Zusammenhang steht, dass alles mit einander zu tun hat, nicht nur miteinander zu tun hat, sondern sich in ständiger Wechselwirkung befindet, ein offenes, lebendiges System ist. – Fuck, eine riesige Sache - und man selbst ein Teil davon! Irgendwie wunderbar und gleichzeitig unpackbar – oder schöner ausgedrückt: unbegreifbar. Nicht handhabbar, kaum denkbar, vorstellbar. Und vermittelbar schon gar nicht.


Das In-Kontakt-Kommen mit Systemwissenschaft – ein Aufatmen, eine geile Theorie, eine Erklärung, uff. Und dann die Enttäuschung – Kybernetik – mechanistisches Weltbild, geschlossene Systeme, alles viel zu eng. Dann BERTA (also Maria Magdalena und Ludwig von), die eine organismische Weltsicht als Voraussetzung für positive Zukünfte gefordert hat – die referiert und gelehrt und geschrieben hat – für ein neues organismisches Welt- und Menschenbild – nicht für eine mechanistische Weltanschauung (die aber weit verbreitet ist) – die Welt, der Mensch, der Staat, die Gesellschaft als Maschine – diese Bilder begannen nicht erst bei Hobbes und endeten auch nicht mit dem 2. Weltkrieg.


Ja, und vom Menschen wissen wir nichts und von uns selbst auch kaum etwas. – BERTA, die sich in die NSDAP eingeschrieben hat und gegen nationalen Patriotismus aufgetreten ist. Die die Notwendigkeit eines Patriotismus gegenüber dem ganzen gemeinsamen Planeten – diesem riesigen lebendigen Organismus, den WIR mit ausmachen – und einer Loyalität gegenüber der gesamten Menschheit betont hat. Wie geht sich das aus, wie lässt es sich erklären? – Mir wird oft alles zusammen viel zu viel – all die komplexen, oft paradoxen Informationen, die mich treffen, sie müssen mich nicht einmal be-treffen – aber wie kann man’s wissen? Was muss man wissen, beachten, hinterfragen, bedenken? Und wo die Grenzen ziehen – in einem Riesenorganismus – und will man überhaupt Grenzen ziehen? Ich habe den Eindruck, dass sich diese Fragen – und Sehnsüchte – auch in den Werken der beiden Künstler widerspiegeln.


Ich bin gerne „komorebig“ – denn ich liebe Zwischenräume, das Flirren, die Übergänge, wo Licht und Schatten sich nicht abgrenzen, sondern miteinander tanzen. – Wo Nachrichten sich brechen und das Vergessene nicht verschwindet.

jeanette  jeanette

Jeanette Müller, komorebi, Foto © Paul Divjak                                                  Jeanette Müller, komorebi, Foto © Paul Divjak                                                   


divjak  divjak

Paul Divjak, breaking news, Foto © Paul Divjak                                                 Paul Divjak, breaking news, Foto © Paul Divjak 




atelier kleinlercher/kosai

gebrüder langgasse 14

1150 wien

 

www.toni-kleinlercher.com